Zu Besuch bei Echinocereus ctenoides Erich Schrempf Als ich zu Beginn meiner Kakteenleidenschaft ein Bilderbuch mit vielen Kakteenblüten bekam, begeisterte mich sofort die Gruppe um Echinocereus pectinatus. Die großen, häufig mehrfarbigen Blüten, die als Bonus fast eine Woche geöffnet bleiben, hatten es mir angetan. Zunächst konnte ich mich mit meinen bescheidenen Möglichkeiten einer Fensterbrettsammlung nicht an den schönen Blüten erfreuen. Meine beiden E. pectinatus wollten mir den Gefallen nicht tun, mein E. dasyacanthus war noch zu klein und E. ctenoides war nirgends zu bekommen. Als ich nach einigen Jahren dann die Möglichkeit hatte, mir in Mexiko die Kakteen anschauen zu dürfen, standen diese Arten, speziell E. ctenoides, auf der Wunschliste ganz oben. 1994 machten wir (H. Barz, mein Begleiter bei über 20 Reisen in der Zwischenzeit! und ich) uns Mitte März das erste Mal auf, diesen Kaktus nördlich von Melchor Muzquiz zu suchen. Genaue Angaben zu Wuchsorten hatten wir leider vor der Reise nicht bekommen und so machten wir uns mit ziemlich gemischten Gefühlen auf, die Region nördlich von Melchor Muzquiz zu erkunden. Auf den ersten Kilometern der Mex 53 (früher als Mex 20 bezeichnet) waren zunächst noch einige Ranchos entlang der Schlaglochpiste und nach ca. 15 Kilometern wurde es eine Buschlandschaft, die die Straße einsäumte. Wenn wir steinigfelsige Lichtungen erkennen konnten, kämpften wir uns durch das sehr dichte, stachelige Gebüsch, um dort nach Pflanzen zu suchen. Beim dritten Versuch, etwa bei km 40 nördlich von Muzquiz, wurden wir dann belohnt: Wir fanden die ersten Pflanzen, die wir als E. ctenoides identifizierten. Von Blüten war aber nichts zu sehen, es gab noch nicht einmal angeschwollene Areolen! Bis zum Abend hatten wir gerade mal 100 km entlang der Straße erkundet, waren ziemlich zerkratzt und hatten zerrissene T-Shirts! Da an Blüten nicht zu denken war, wurde das Vorhaben abgebrochen und auf eine spätere Reise verschoben. Für den zweiten Versuch waren wir besser vorbereitet. Mit einem Zelt, ziemlich viel Wasser und einigem Essbaren ausgerüstet, hofften wir dann Mitte April 1998 E. ctenoides blühend aufzufinden. Die Mex 53 war in einem wesentlich erbärmlicheren Zustand als bei unserem letzten Besuch und wegen vieler Schlaglöcher nur in Schlangenlinien zu befahren. Ein sehr großes Schlagloch lauerte uns auf und verhalf unserem Auto zu einem so heftigen „Felgenschlag“, dass die Luft aus dem Reifen entwich. Mit einem Hammer konnte die Felge wieder gerichtet werden, aber aus dem Reifen war fast sämtliche Luft entwichen. Nach der Karte war die nächstgelegene, größere Ansiedlung Boquillas del Carmen an der Grenze zu den USA und immerhin 80 km entfernt. Aufgrund der schlechten Piste wollten wir ohne Ersatzrad kein Risiko eingehen und unser Stundenschnitt bewegte sich bei weniger als 20 km/h. Die Strecke wurde deshalb lang und länger, es begann zu dunkeln und auch zu regnen. Die letzten 30 Kilometer wurden zu einer Schotterpiste mit Lehmeinlagen, was das Fahren nicht gerade erleichterte. Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchten dann vor uns Lichter auf, die aber dann plötzlich wieder verschwanden und wir glaubten fast, eine Fata Morgana gesehen zu haben. Nach der Karte sollten es noch etwa 10 km bis Boquillas sein und unsere Anspannung wich einer gedämpften Vorfreude, dass wir es endlich geschafft haben. Dann, 2 Kilometer vor der Ortschaft, war noch ein Zufluss zum Rio Bravo auf einer Brücke zu überqueren und diese Brücke war etwas schief. Ich stieg aus und wollte die Festigkeit der Brücke testen, aber ohne Abendessen war ich als Testperson für einen Belastungstest nicht geeignet. Ich gab dem Fahrer Zeichen, dass er etwas flott darüber düsen sollte, und wir erreichten dann glücklich Boquillas. Im strömenden Regen das Zelt aufzubauen schien uns nicht verlockend, aber wo gab es hier eine Übernachtungsmöglichkeit? Die Orientierung war unmöglich, da die Straßenlampen ausgeschaltet waren. Es blieb nur, an einer Hütte anzuklopfen und nachzufragen. Das Familienoberhaupt öffnete und erklärte mir, dass es hinter der Kirche ein Hotel gäbe. Also zur Kirche und dort gesucht, aber nichts gefunden! Also wieder zurück und erneut anklopfen. Der Typ war jetzt deutlich genervt, aber er beschrieb dann doch genauer, dass das Hotel weit hinter der Kirche läge. Wieder an der Kirche vorbei und nach einer ziemlichen Wegstrecke wurden wir von Hundegebell begrüßt: Wir hatten das Hotel gefunden und wir bekamen noch Feldbetten in einem Nebenraum. Am nächsten Morgen beim Frühstück wollten wir dann wissen, ob es hier eine Werkstatt gäbe, wo wir unseren platten Reifen aufpumpen könnten. Eine Werkstatt gab es nicht, aber wir bekamen eine Handpumpe! Nach langem, schweißtreibendem Pumpen mit einigen Pausen hatten wir endlich wieder so viel Luft im Reifen, dass wir ihn wenigstens als Ersatzreifen benutzen konnten. Unser Plan war eigentlich gewesen, dass wir an der Grenze entlang nach Ojinaga weiterfahren wollten, aber sollte dies mit einem lädierten Ersatzreifen möglich sein? Der Hotelier beruhigte uns, da diese Piste in einem guten Zustand sein sollte und wir uns deshalb keine Sorgen machen sollten. Einigermaßen beruhigt machten wir uns auf den Weg, aber nach 2 Kilometern war Schluss mit lustig: Die Brücke war in der Nacht eingestürzt!! Wir fuhren zurück und meldeten dies in der Ortschaft, aber es interessierte niemanden sonderlich. Wir sollten einfach warten, bis der Wasserstand so gering wird, dass man im Fluss aufwärtsfahren kann und nach 1 oder 2 Kilometern könnte man auf die Piste hinauffahren. Nachmittags beschlossen wir dann loszufahren, da gerade der Bus, der einmal wöchentlich Boquillas anfährt, startete. Der Bus hatte keine Probleme im Flussbett, aber unser VW Golf hatte zu wenig Bodenfreiheit und wir kamen nicht weiter. Ein längeres Warten hatte keinen Sinn, da mit und ohne Wasser die Steine im Flussbett gleich groß blieben und sie einfach zu groß waren! Es musste eine andere Möglichkeit geben. Ich suchte das Ufer ab und fand eine Stelle, die wir als Rampe benutzen könnten, um auf die Piste hochzukommen. Wir legten noch weitere flache Steine auf die Rampe, unser Golf wurde einjustiert und dann ging‘s mit einigem Karacho tatsächlich hoch, auch wenn ein Spoiler danach nicht mehr so gut aussah. Trotzdem: HEUREKA!! Bei der Weiterfahrt schwebten wir zunächst auf Wolke sieben, bis der Fahrer plötzlich den Benzinstand reklamierte: fast leer!! Sofort anhalten und unter das Auto schauen: Es roch nach Benzin und irgendetwas tropfte aus einer Leitung: natürlich unser Benzin: Bullshit! Also das Auto schnell hochbocken und genau nachschauen, aber es änderte sich nichts, die Benzinleitung war gequetscht. Was nun? Dann entdeckten wir, dass die Leitung weiter vorne schon mal repariert war: In der Benzinleitung steckte ein Stück blauer Schlauch, ein fester Druckschlauch der Fa. Festo, dessen Außendurchmesser genau in den Innendurchmesser der Benzinleitung passte und der so fest verbunden war, dass er ohne eine Rohrschelle (oder etwas Ähnliches) gehalten hat! Zudem war er so weit in die Benzinleitung eingesteckt, dass wir ohne Bedenken 10 Zentimeter abschneiden konnten und bei unserer Tropfstelle einfügen konnten. Wir hatten jetzt zwar ein ziemlich intaktes Reserverad, eine reparierte Benzinleitung, aber kein Benzin! Es blieb uns nur, Altamira als die nächstgelegene Siedlung anzufahren, wenige Kilometer östlich an der Mex 20 in Richtung Ojinaga. Das erste Gebäude hier war eine Tankstelle (bei insgesamt fünf Häusern!), wenn auch das Benzin nur mittels Trichter eingefüllt werden konnte, und wenige Kilometer weiter in dem Ort San Miguel war eine Werkstatt! Der Stein, der uns vom Herzen fiel, wog mindestens 5 Zentner! Am Abend dann vor dem Zelt, bei Gulasch aus der Dose, einem(?) lauwarmen Cerveza und einem(?) Schluck Presidente (mexikanischer Brandy) trösteten wir uns über das Malheur hinweg und genossen einen herrlichen, klaren Sternenhimmel. Bei sämtlichen Kakteenarten waren Mitte April immer noch keine Knospen zu sehen. Die Pflanzen waren noch alle in der Wintertrockenruhe, die Landschaft war überwiegend braun mit ein wenig Grün und so wurde auch dieser Besuch im Norden stark abgekürzt. Unseren dritten Versuch unternahmen wir dann Anfang Mai 2006 und hatten endlich Erfolg: E. ctenoides stand in Blüte! Es war einfach umwerfend, diese Farbenpracht sehen zu dürfen! Von einem hellen Gelb bis zu einem ziemlich dunklen Orangerot mit sämtlichen Übergängen, fast einfarbige Blüten, Blüten mit Farbzonen, geflammte Blüten, einfach alles, was man sich wünschen konnte, war vorhanden! Entlang der Straße waren auf wenigstens 20 Kilometern direkt neben der Straße immer wieder die wunderbaren Blüten zu sehen, sodass wir unsere kleinen Echinocereus-Oasen im stacheligen Gebüsch nicht aufsuchten. Die Standorte, an denen die Pflanzen wuchsen, waren sich sehr ähnlich. Es war immer eine steinige, ziemlich ebene Fläche, in der nur wenig Buschwerk stand, das den Pflanzen geringen Schatten spendete. Seltener waren sie auch am Fuße von Hügeln zu finden, aber wenn der Hang etwas steiler und felsig wurde, gab es keine E. ctenoides mehr zu entdecken, er wird dann von E. dasyacanthus abgelöst. An Begleitpflanzen waren an Kakteen in der steinigen Ebene folgende Arten zu entdecken: Ariocarpus fissuratus; Coryphantha ramillosa (wohl die später beschriebene subsp. santarosa); C. macromeris; C. echinus; Echinocactus horizonthalonius; Echinocereus enneacanthus und unter Sträuchern versteckt eine schlanke, Gruppen bildende Form des E. pectinatus; Epithelantha micromeris; Escobaria tuberculosa; Lophophora williamsii; Mammillaria lasiacantha; M. heyderi und M. meiacantha; Neolloydia conoidea; diverse Opuntien; ins gesamt eine fast unglaubliche Artenvielfalt! Den interessantesten Wuchsort fanden wir weiter nördlich auf der Fahrt nach Jose Maria Morelos y Pavon. In der sandigen Ebene vor einem Hügel waren wenige blühende E. ctenoides, Gruppen des E. enneacanthus, im Gebüsch ziemlich versteckt eine schlanke Form des E. pectinatus subsp. wenigeri (der Buschkaktus nach Dr. G. Frank), im steinig-felsigen Anstieg blühende E. dasyacanthus und auf den sonnigen Felsen E. longisetus! Ich kenne keinen anderen Standort mit so vielen Echinocereus-Arten! 2014 hatten wir bei der Suche nach einer kleinen Mammillaria nochmals das Glück, E. ctenoides in Blüte anzutreffen, und es war wieder dieses unbeschreibliche Gefühl, dieses Farbenspektakel sehen zu dürfen. Es gab bei meinen Reisen wenige Momente, die damit verglichen werden können. Im Gewächshaus hat man ja die Beschränkung, dass man nur wenige Pflanzen einer Art hat, und so ist es einfach umwerfend, die Blütenfülle in der Natur zu sehen. In der Zwischenzeit söhnten wir uns mit dem Norden aus und durchfuhren sogar die Strecke Ojinaga – Melchor Muzquiz schon zwei Mal ohne Panne und durften dabei einmal sogar ein Blütenmeer des E. dasyacanthus erleben. Doch darüber vielleicht ein anderes Mal ... P.S. Alle Fotos von blühenden Pflanzen wurden in verschiedenen Jahren jeweils zwischen dem 21. und 26. April geschossen.