Statusänderungen bei Echinocereen Werner Rischer Mehrfach habe ich mich schon kritisch mit den Publikationen von akademisch ausgebildeten Taxonomen auseinandergesetzt (RISCHER 2014, RISCHER 2016a). Von D. HUNT ist 2016 eine neue, überarbeitete „CITES Cactaceae Checklist – Third Edition“ online erschienen, in der unter Mitarbeit zahlreicher Experten die einzelnen Gattungen bearbeitet und teils neu geordnet wurden. Wie bei früheren Auflagen war für die Gattung Echinocereus N. P. Taylor zuständig. Unbefriedigend für mich ist immer, wenn keinerlei Begründungen oder Erklärungen zu neuen Gliederungen gegeben werden. Auch, oder gerade weil die Botanik nicht zu den „exakten Wissenschaften“ zählt, sollte es gerade für akademisch ausgebildete Botaniker selbstverständlich sein, wissenschaftlich zu begründen, warum alte Kombinationen verworfen und auf welcher Basis neue Kombinationen veröffentlicht werden. Eine neue Einteilung mit nachvollziehbarer Begründung würde sicherlich schneller Anerkennung und Anwendung finden, auch wenn sie nach den Regeln des International Code of Nomenclature (ICN) formal zweifellos korrekt ist. Hier soll auf Taxa aus dem gerade erschienenen Sonderdruck der AG Echinocereus (RISCHER 2016b) „Die Echinocereus-Scheeri-Guppe“ eingegangen werden. Führende Kakteenkenner und Systematiker wie ANDERSON (2001), HUNT (2006, 2013), SANCHEZ et al. (2013) und auch TAYLOR (1985, 1988, 1994) haben in ihren Arbeiten über die Gattung Echinocereus E. salm-dyckianus Scheer emend. Rümpler wie auch E. klapperi Blum als Synonym zu E. scheeri eingestuft. E. chaletii wird bei SANCHEZ et al. (2013) sogar als Synonym zu E. acifer (Otto ex Salm-Dyck) Jacobi gestellt. Schon die von N. P. Taylor unterstützte Gattungsbearbeitung durch PILBEAM (2011) führte alle diese Taxa als eigenständige Arten! In der neuen „CITES Cactaceae Checklist“ (Hunt 2016) werden E. salm-dyckianus und auch E. klapperi wiederum anerkannt, jedoch wurde E. chaletii nicht mehr als eigenständige Art gelistet, sondern dem E. scheeri analog zu dessen Unterarten beigestellt, allerdings ohne Publikationshinweis! Parallel wird E. chaletii etwa zeitgleich als E. scheeri subsp. chaletii (Rischer) N. P. Taylor im Juli 2016 wirksam im neuen „CSI“ publiziert. Eine Begründung liefert N. P. TAYLOR (2016: 12–13) mit: „…flowers typical of ssp. scheeri, but differs in having more ribs and spines“. [Sinngemäße Übersetzung: … Blüten typisch für subsp. scheeri; unterscheidet sich jedoch durch mehr Rippen und Dornen.] Andere Merkmale wie Trichome an der Blütenröhre, Beschaffenheit der Samen oder die Unterschiede im Blühverhalten werden leider nicht berücksichtigt. Zum Vergleich dienen hier Teile der Differentialdiagnose aus der Erstbeschreibung: Echinocereus chaletii unterscheidet sich von E. scheeri durch • höhere Rippenanzahl • höhere Randdornenanzahl • höhere Mitteldornenanzahl • isolierte geografische Lage, ein in sich geschlossenes Verbreitungsgebiet • deutliche Unterschiede in ihren äußerlichen morphologischen Merkmalen von E. chaletii zu den bekannten E. scheeri-Populationen aus den Barrancas del Cobre • Blütenröhre stark mit deutlich sichtbaren Trichomen besetzt • Samenstruktur (REM): Bei der Samenstruktur gibt es deutliche Unterschiede in der Kutikularfältelung wie auch bei den Zellbegrenzungslinien. • Der Blührhythmus von E. chaletii ist deutlich unterschiedlich gegenüber E. scheeri. Zwar ist auch bei E. chaletii am Mittag nach der ersten Öffnung eine Schließbewegung zu beobachten, aber die Blüte schließt nur halb und öffnet am Nachmittag wieder vollständig und bleibt danach Tag und Nacht geöffnet. E. rischeri (Roemer) Rischer wird bei HUNT (2016) und in TAYLOR (2016) als Synonym dem E. salm-dyckianus zugeordnet. Eine Begründung wird dafür nicht geliefert! In früheren Abhandlungen, in denen E. salm-dyckianus noch als Synonym von E. scheeri galt, wurde das Taxon E. rischeri ebenfalls als Synonym zu E. scheeri gestellt. Es ist durchaus nicht seltsam, dass ein Taxon bei unterschiedlichen Bearbeitungen als Synonym zu unterschiedlichen Arten eingeordnet wird. Das zeigt aber auch, dass es selbst für einen erfahrenen Taxonomen nicht immer einfach ist, eine neue Beschreibung oder einen alten Namen auf Anhieb korrekt zuzuordnen. Durch seine isolierte geografische Lage gegenüber E. scheeri und E. salm-dyckianus hat E. rischeri eine andere Entwicklung durchlaufen und sich als eigenständige Entität etabliert. E. chaletii und E. rischeri werden mitunter im gleichen Habitat – manchmal nur wenige Meter voneinander entfernt – angetroffen (CHAPARRO 2015). Die Unterschiede von E. salm-dyckianus zu E. rischeri sind bei folgenden Merkmalen ersichtlich: • Die Blüte von E. rischeri gleicht einer E scheeri-Blüte, sie ist deutlich schlanker und größer (länger) als eine E. salmdyckianus-Blüte. • E. rischeri zeigt das gleiche Blühverhalten wie E. scheeri, die Blüte schließt über Mittag komplett, bei E. salmdyckianus bleibt sie permanent offen. • Der Blühzeitpunkt liegt früher als bei E. salm-dyckianus. • Die Art hat eine größere, offene Nektarkammer. • Bei der Samenstruktur (REM) sind deutliche Unterschiede in der Kutikularfaltung wie auch bei den Zellbegrenzungslinien zu sehen. Fazit Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen der Spezialisten zeigen, dass jede taxonomische Einteilung immer auch eine subjektive Meinung bleibt. Je nach Gewichtung einzelner Merkmale werden verschiedene Experten, egal ob Amateur oder Akademiker, zu verschiedenen Ergebnissen gelangen. Dem Autor stand bei Redaktionsschluss zum Scheeri-Sonderdruck die Statusänderung von E. chaletii noch nicht zur Verfügung. Somit konnte dort die neue Einstufung auch noch nicht berücksichtigt oder kritisch hinterfragt werden. Es geht bei diesem Beitrag deshalb nicht vordergründig darum, ein Taxon als eigenständige Art oder als Unterart zu proklamieren, sondern der Autor bemüht sich zu zeigen, dass Taxonomen die vorhandenen Merkmale unterschiedlich bewerten (oder ignorieren) und somit zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können oder vielmehr müssen. Der Autor dieses Beitrages ist deshalb heute immer noch der Auffassung, dass die hier besprochenen Taxa E. chaletii und E. rischeri jedes für sich gesehen Berechtigung im Artrang haben – wie dies auch im Sonderdruck „Die Echinocereus-Scheeri-Gruppe“ (RISCHER 2016b) ausführlich dargestellt und nachzulesen ist. Durch die Lektüre sollte sich jeder Leser selbst in die Lage versetzt fühlen, sich eine eigene Meinung über diese interessanten Pflanzen zu bilden!