Überraschendes im Municipio Ojinaga Johann Strobl & Bernard Roczek In der Vorbereitung einer Mexikoreise 2010 mit Bernard Roczek aus Buchloe, Bayern, überlegten wir für unsere Reiseroute einen Tagesausflug in das Municipio Ojinaga in Chihuahua, um das Verbreitungsgebiet von Echinocereen zu erkunden. Im Vorfeld wurde die uns bekannte Literatur durchforstet, wobei wir jedoch auf keine nennenswerten Textstellen bzw. Standorthinweise stießen. Die daraus erworbene Kenntnis, dass es sich um ein für uns Feldläufer wenig besuchtes Gebiet handelt, verlieh unserer Überlegung somit schon im Vorfeld eine gewisse Spannung. Somit wurde der Besuch festgelegt und in unsere Reiseroute als fixer Bestandteil aufgenommen. Bei meinen vorherigen Reisen wollte ich schon immer die Region besuchen, es langte aber aus Zeitnot nur zu einem Abstecher nach Lajitas am Flusslauf des Rio Grande auf mexikanischem Boden. Mitte April 2010 war es dann endlich so weit. Schon bei der Anfahrt rätselten wir beide, was in dem Gebiet an Kakteen so alles zu sehen sein würde. Aufs Geratewohl wählten wir eine „Terraseria“ südlich von Ojinaga-Stadt, um in das uns unbekannte Gebiet zu gelangen. Nachdem wir die ersten Berge und Hügel erreichten, faszinierte uns schon allein die tolle Landschaft. Das ganze Tal ist sehr schwach besiedelt, nur vereinzelt sieht man ein kleines Rancho, keine Geschäfte, keine Restaurants, also ideal für die Erkundung neuer Standorte. Uns beiden war sofort klar, dass wir bei unserer Planung alles richtig gemacht hatten, und wir freuten uns schon auf den ersten Halt. Ein Hügel wurde in Augenschein genommen und ein wenig traurig stellten wir fest, dass Echinocereus dasyacanthus schon abgeblüht hatte. Wir ließen uns aber nicht entmutigen und hielten nach wenigen Kilometern nochmals an, um das Gelände zu erkunden. Schon nach wenigen Schritten verschlug es mir fast den Atem. Wir stießen auf eine Population von Thelocactus flavidispinus, ein Vertreter aus dem bicolor-Komplex. Für mich als bekennender Thelocactus-Fan eine Sensation, da es in der Literatur absolut keinen Hinweis auf das Vorkommen dieser Pflanzen in Mexiko gibt. Dass die Pflanzen nicht blühten, war in diesem Moment sekundär, vielmehr war die Freude über diesen Fund überwältigend. Die flach am Boden wachsenden Spezies zeigten fallweise eine rein gelbe Bedornung, jedoch wurden auch auffallend viele Pflanzen mit roter und rotgelber Bedornung gesichtet. Wir sahen auf diesem Standort noch einen blühenden Echinocereus dasyacanthus und zwei abgeblühte E. coccineus oder E. paucispinus. Nach ausgiebigem Fotografieren der gesehenen Pflanzen mussten wir leider aufbrechen, da wir unseren Zeitplan unbedingt einhalten wollten, um noch die letzten eingeplanten Standorte besuchen zu können. Eines war für uns aber sofort klar: In dieses Tal werden wir wieder kommen, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Im Spätherbst 2012 konnte ich Bernard Roczek wiederum für eine Reise nach Mexiko im Frühjahr 2013 gewinnen. Er betraute mich mit der Planung der Reiseroute und schon der erste Entwurf bestätigte unser gemeinsames Interesse zum Besuch der ausgewählten Regionen. Natürlich war auch wieder der Besuch des Tales im Municipio von Ojinaga von der vorangegangenen Reise 2010 angesagt; wollten wir doch das Tal unbedingt ein wenig näher erkunden. Der Standort des Thelocactus flavidispinus wurde als Erstes angefahren, um den Bestand der Population nochmals zu prüfen. Das Habitat war wiederum voll intakt, jedoch zeigten die Pflanzen wieder nur Knospen und keine Blüten. Anschließend begaben wir uns auf die Suche nach einem guten Zeltplatz, welcher rasch gefunden war. Nach erfolgtem Aufbau der beiden Zelte machten wir noch einen kurzen Rundgang am Nächtigungsstandort. Beflügelt durch ein kühles Cerveza genossen wir beide den ausklingenden Tag bei der gemeinsamen Zubereitung unseres Abendessens im Feld. Nach einer ruhigen Vollmondnacht bereitete ich im Morgengrauen in der Hoffnung nach einem schönen Sonnenaufgang mein Fotoequipment vor. Ein paar ansprechende Fotos waren die Belohnung meiner frühen Bettflucht. Nach einem Frühstück in den ersten wärmenden Strahlen der aufsteigenden Sonne und in bester Laune wurden die Zelte abgebaut und alles in unserem Toyota Hilux sinnvoll verstaut. Mit großer Spannung und Erwartung konnte die Erkundung des Tales weitergehen. Schon nach wenigen Kilometern entdeckten wir bei zwei kurzen Stopps auf ganz flachen Erhebungen, bestehend aus vulkanisch hellem Eruptivgestein, wieder zwei Populationen unseres Thelocactus flavidispinus in Gesellschaft mit vereinzelten E. dasyacanthus und Coryphantha macromeris subsp. macromeris. Nach einer weiteren Fahrt in östliche Richtung parkten wir unser Auto, um den angrenzenden flachen Hang zu erforschen. Schon nach wenigen Metern und Minuten entdeckte Bernd mit seinen scharfen Augen einen Echinocereus-Sämling, der uns ein breites Lächeln in unseren gebräunten Gesichtern aufsetzen ließ. Wir hatten hier eine Population Echinocereen aus dem Chloranthus-Formenkreis gefunden! Gezielt begann nun die Suche nach weiteren Pflanzen und wir wurden schnell fündig. Nach kurzer Zeit war uns klar, eine völlig intakte Population aus dem Chloranthus- Formenkreis entdeckt zu haben. Die Pflanzen wachsen überwiegend solitär, nur zwei Exemplare hatten einen Spross, ein Exemplar zeigte vier Sprosse (vielleicht eine Beschädigung durch vorangegangenen Viehfraß oder Hufschlag). Die meisten Pflanzen hatten viele Knospen, gelegentlich blühten auch schon welche. Die Farbe der Blüten war rotbräunlich bis bräunlich. Diese Echinocereen wachsen, wie schon an den vorher besuchten Standorten des Thelocactus flavidispinus, in steinigem Gelände aus vulkanisch hellem Eruptivgestein, durchsetzt mit kleinen flachen Felsbändern. Die Pflanzen zeigten meist 14–16 Rippen, 1–4 Mitteldornen, 14–18 Randdornen, meist spreizend, die oberen Randdornen sind meist kürzer. Die Beobachtung an den Pflanzen war nur eine Momentanerkenntnis und ist nicht als vollständig zu sehen. Für eine vollständige Beschreibung dieser Pflanze fehlt mir ohnehin das botanische Fachwissen. Unsere Beobachtungen wurden an ca. 150 Pflanzen gemacht. Im Felsbereich sahen wir auch gut vertreten, schöne Gruppen von E. coccineus bzw. E. paucispinus in voller Blüte. Eine Messung im Habitat mit dem GPSGerät ergab eine Höhe von 1606 Meter. Unser Thelocactus flavidispinus war auch an diesem Standort gut vertreten. Jedoch zeigten sich hier die Pflanzen zu 90 % gelb bedornt, wiederum aber nur mit Knospen. Zweifelsfrei ist dieser Thelocactus im Tal mehrmals vertreten. Den Echinocereus chloranthus fanden wir später wenige Kilometer nördlich nochmals in zwei kleinen Habitaten. Wie weit sich dieses Vorkommen erstreckt, wird ein neuerlicher Besuch der Municipios Ojinaga und Manuel Benavides zeigen. Die bekannten Standorte des E. chloranthus befinden sich in den USA, ungefähr 150 bis 350 km nördlich der neu gefundenen Population.