Echinocereus pectinatus oder Echinocereus dasyacanthus im Big Bend Nationalpark? Gerhard und Gisela Böhm Der interessante Artikel „Gelb blühender Echinocereus pectinatus am Lake Balmorhea“ von Dieter Wede (EcF 2013/3) sowie die Aufforderung der Redaktion über weitere Vorkommen zu informieren, ermuntern uns, ebenfalls über E. pectinatus-ähnliche Pflanzen aus Texas zu berichten. Im Jahre 2007 wurden wir aus der Arbeitsgruppe gebeten, im Big Bend National Park in Texas nach einem Echinocereus dasyacanthus mit pektinatem Dornenbild Ausschau zu halten. Als mögliches Vorkommen dieser Pflanze wurde uns die Burro Mesa genannt. Der „Wildesel Tafelberg“ ist eine imposante Erhebung mit steilen Felswänden im Südwesten des Nationalparks. In der Übersichtskarte, die jeder Besucher des NP erhält, ist dieses Gebiet mit der Bezeichnung „Burro Mesa Pouroff“ als Ausflugsziel eingezeichnet. Es handelt sich dabei um eine Schlucht mit hohen Steilwänden, an deren Ende bei starkem Regen der Javelina Wash in einem Wasserfall herabstürzt. Die überwiegende Zeit des Jahres sind der Bach und der Wasserfall allerdings trocken. Die Burro Mesa ist Teil einer bis zu 1.300 m hohen welligen Hochebene, die sich einige Kilometer nach Norden ausdehnt. Bei unserem Besuch des Nationalparks fuhren wir auch zum Burro Mesa Pouroff. Da aus der Schlucht kein Weg hinauf zur Mesa führte, suchten wir über eine schweißtreibende und teilweise steile „Querfeldein“-Tour einen Weg östlich der Schlucht hinauf zur Hochebene. Der Weg dorthin führte uns an einer üppigen Kakteenflora vorbei. Wir sahen dort Echinocereus coccineus, E. stramineus, E. russanthus, Ariocarpus fissuratus, Echinocactus horizontalonius, Echinomastus warnockii, Escobaria tuberculosa, Hamatocactus hamatacanthus, Sclerocactus (Glandulicactus) uncinatus, Mammillaria heyderi subsp. meiacantha und M. lasiacantha. Erster Standort oberhalb „Burro Mesa Pouroff“ (a) Die Hochebene besteht überwiegend aus baum- und strauchlosem welligem Gelände und ist mit unterschiedlich hohem Gras, massenweise Agave lechuguilla und gelegentlich mit Yuccas, Dasylirion wheeleri und Kreosote-Sträuchern (Larrea tridentata) bewachsen. Die mit GPS gemessenen Höhen bewegen sich dort zwischen 1.150 und 1.200 m. Als wir die Hochebene erreichten, fanden wir auf flachen Hügelrücken auch bald die ersten Echinocereus dasyacanthus. Bei näherer Betrachtung erkannte man, dass diesen Pflanzen das typische ungeordnete, struppige und dichte Dornenkleid fehlte. Die länglichen Areolen hatten pektinat anliegende Randdornen. In der Areolenmitte waren keine bis maximal drei kurze Stummel als Mitteldorn zu erkennen. Die Rippen der Pflanzen standen weit auseinander, sodass dazwischen die Epidermis gut sichtbar war. Die Randdornen konnten den Zwischenraum nicht überdecken. Das gilt natürlich nicht nach langen Trockenperioden, die wir in den letzten Jahren leider häufig erlebten; dann sind die Pflanzen sehr stark geschrumpft. Auffallend war, dass der Neuaustrieb im Scheitel sowie bei den Seitensprossen eine höhere Anzahl von Mitteldornen ausbildete (bis zu 6) und diese in den jungen Areolen auch länger erscheinen als in den älteren. Dadurch zeigen diese Pflanzenteile wieder mehr das markante Dornenbild des E. dasyacanthus. Offenbar werden diese Dornen später abgestoßen oder sie brechen ab. Erfreulicherweise hatten viele Pflanzen große Knospen. Sie unterschieden sich für uns nicht von üblichen E. dasyacanthus-Knospen. Mit Freude entdeckten wir auch bald die ersten blühenden Pflanzen. Ihre typischen gelben dasyacanthus-Blüten mit grünem Schlund überzeugten uns, dass wir hier eine Population der gesuchten Pflanze gefunden hatten. Natürlich wollten wir nun mehr über die Verbreitung dieser besonderen E. dasyacanthus erfahren. Bei weiteren Reisen in den Big Bend Nationalpark suchten wir eine größere Strecke entlang des Ross Maxwell Scenic Drive ab. Obwohl wir sicher sind, dass es in diesem Teil des Big Bend Nationalparks noch weitere Vorkommen mit diesem Typus gibt, fanden wir bisher nur die folgenden Habitate. Sie liegen alle westlich bis südwestlich der Chisos Mountains, eines bis zu 2.400 m hohen Gebirges. Zweiter Standort im nördlichen Bereich des „Ross Maxwell Scenic Drive” (b) Südlich der Sam Nail Ranch führt die Straße unmittelbar an den Fuß der Burro Mesa-Hochebene heran. Auf den angeschwemmten Sand- und Kiesschotterhügeln unterhalb des steilen Anstiegs, noch nahe der Straße, fanden wir in etwas über 1.100 m Höhe einige pektinat bedornte Pflanzen (GGB092). Es gab hier aber nicht viele Exemplare. Erst oben, an der Abbruchkante, ab 1.220 m, sahen wir sie wieder häufig. Entlang dieser Kante suchten wir parallel zur Straße etwa 1,5 km ab und fanden viele schöne Gruppen dieses pektinat bedornten E. dasyacanthus; daneben Sukkulenten weiterer Gattungen. Im steilen Teil des Hangs, unterhalb der Kante, dagegen gab es nur vereinzelt Kakteen, allerdings keine E. dasyacanthus. Die Entfernung bis zum ersten Standort im Südwesten beträgt etwa 4-5 km Luftlinie. Es ist anzunehmen, dass auf den Kuppen der welligen Hochebene die pektinat bedornten Echinocereen verbreitet sind. Leider war bei unserem Besuch im Frühjahr 2013 die Vegetation auf dem erkennbaren Teil der grasbewachsenen Hochebene komplett durch Feuer zerstört. Nur an wenigen Stellen, im Windschatten von Felsen und sonstigen Erhebungen, blieben kleine Areale vom Feuer verschont. Über die Kante hat sich das Feuer glücklicherweise nicht bergabwärts verbreitet. Mit Freude konnten wir aber feststellen, dass sich aus einigen, vermeintlich total verkohlten Kakteenleichen vereinzelt schon wieder Leben regte. Dritter Standort im mittleren Bereich des „Ross Maxwell Scenic Drive” (c) Südlich der Burro Mesa erstreckt sich auf der gegenüberliegenden Seite des breiten Tales des Javelina Wash ein bis zu ca. 1100 m hoher Bergrücken. Wegen der Nähe zur Burro Mesa vermuteten wir dort ebenfalls pektinat bedornte E. dasyacanthus anzutreffen. Obwohl wir diesen Hügelrücken in der gesamten Länge absuchten, fanden wir keine E. dasyacanthus, sondern nur E. russanthus. Erst auf dem langen Rückweg, wieder in der Ebene, entdeckten wir auf kiesigem Untergrund einige pektinat bedornte Pflanzen. Dieses Habitat liegt zwischen 930 m und 950 m Höhe und unterscheidet sich durch den Untergrund wesentlich zu a), b) und d). Vierter Standort im südlichen Bereich des „Ross Maxwell Scenic Drive” (d) Die nächsten pektinat bedornten Echinocereus dasyacanthus fanden wir erst wieder nach ca. sieben Straßenkilometern südwestlicher Richtung. Von der Straße in ca. 780 m Höhe stiegen wir über relativ einfaches Gelände hinauf zu den Hügel-rücken in einer Höhe von 880 m. Die ersten E. dasyacanthus fanden wir ab 820 m (GGB094). Unterhalb dieser Höhenlinie sahen wir neben anderen Gattungen nur E. russanthus und E. stramineus. Erst auf den höheren Bergrücken gab es den E. dasyacanthus häufiger und auch über größere Flächen verbreitet. Dort oben wächst auch die flach bleibende und polsterbildende Opuntia schottii var. grahamii. Fünfter Standort „Rio Grande zwischen Castolon und Santa Elena Canyon“ (e) Ab Castolon verläuft die Straße parallel zum Rio Grande und endet beim Santa Elena Canyon. Auf der nördlichen Seite des Flusses gibt es, hinter einer angeschwemmten unterschiedlich breiten, sandigen Ebene, hohe Kiesschotterhügel. Gewachsener Fels ist eher selten. Obwohl diese Kieshügel wegen sehr dornigem Mesquite-Gehölz schwierig zu erreichen waren, gab es einige Stellen, an denen wir suchen konnten. Wir fanden erst bei Meile 24 in etwa 625 m Höhe auf den Kieshügeln pektinat bedornte Echinocereen (GGB463). Solche sahen wir dann auch auf einem alten, aufgelassenen Friedhof auf zwei Gräbern wachsen. Auch E. russanthus war in diesem Gebiet häufiger anzutreffen. Bei Meile 27, etwas östlich der Old Maverick Road gab es für uns dann einen wirklich überraschenden und sehr aufregenden Fund. Bereits aus großer Entfernung ist uns ein ungewöhnlich roter Punkt an einem Hügel aufgefallen. Beim Näherkommen entpuppte sich dieser als eine rot blühende Echinocereen-Gruppe mit acht Blüten. Wegen des dichten Dornenbildes sind wir uns nicht sicher, ob die Pflanzen nun zu den pektinat oder zu den normal bedornten E. dasyacanthus zählen. Wir zählten 16 bis 20 Randdornen und 1 bis 4 Mitteldornen, wobei diese sehr kurz oder bis ca. 1 cm lang waren. Lediglich wegen der Blütenfarbe vermuten wir, dass die Gruppe zu den normal bedornten E. dasyacanthus gehören könnte. Weitere Pflanzen dieses Typs fanden wir in diesem Areal nicht. Sechster Standort „Old Maverick Road” (f) Östlich des bekannten Santa Elena Canyons, den der Rio Grande als tiefe, enge Schlucht durch die Berge geschnitten hat, zweigt die Old Maverick Road nach Norden ab. Über eine Strecke von etwa 2 Kilometer verläuft sie größtenteils durch angeschwemmte Kiesschotterhügel, die von tief ausgewaschenen Gräben durchzogen werden. Nur in diesem Abschnitt fanden wir E. dasyacanthus (GGB463); er wuchs überwiegend am oberen Rand der Gräben. An den untersuchten Stellen war die Anzahl der gefundenen Pflanzen nicht sehr üppig. Aber alle überprüften Individuen hatten pektinat angelegte Dornenpolster. Zur Blütenfarbe können wir keine Aussage treffen, da die Pflanzen bei unserem Besuch nur Knospen hatten. Weiter nach Norden, bis zur etwa zehn Kilometer entfernten historischen Siedler-Hütte „Lunas Jacal“ sahen wir trotz vieler Stopps keine weiteren E. dasyacanthus. Lunas Jacal war der nördlichste Punkt an der Old Maverick Road, bis zu dem wir gesucht haben. Die Ufer des breiten Alamo Creeks, eines der größeren Entwässerungssysteme zum Rio Grande, haben wir noch nicht abgesucht. Wir konzentrierten uns hauptsächlich auf die umliegenden Hügel. Dort sind uns nur die häufig vorkommenden E. russanthus, E. stramineus und E. enneacanthus begegnet. Diskussion Die hier dokumentierten Standorte liegen alle am sehr kurvenreichen Ross Maxwell Scenic Drive auf einer Länge von gut 30 km in relativ geringen Abständen. Man könnte deshalb vermuten, dass sie sich nicht wesentlich unterscheiden und die Bedingungen für die Vegetation überall ähnlich sind. Das ist glücklicherweise nicht so. Der Big Bend National Park weist, geologisch betrachtet, nicht nur eine überwältigende Vielfalt an Strukturen und Mineralien auf, sondern zeigt auch topografisch große Schwankungen bei den Höhen. Das führt dazu, dass sich innerhalb von kurzen Abständen die Bedingungen für die Pflanzenwelt und der Bewuchs stark ändern können, damit ist das Landschaftsbild auch sehr abwechslungsreich. Worum handelt es sich nun bei diesen pektinat bedornten Pflanzen? Sind es gelbblühende E. pectinatus, wie sie Dieter Wede am Balmorhea Lake gesehen hat? Oder doch echte E. dasyacanthus? Wir wissen es nicht. Sicher ist, dass wir bisher (fast) nur gelb blühende Pflanzen gesehen haben. In unseren persönlichen Aufzeichnungen verwenden wir für diesen E. dasyacanthus-Typ aus dem Big Bend NP die individuelle Bezeichnung „E. dasyacanthus Form pektinat“ bzw. die Feldnummern GGB092, GGB094 und GGB463. Unseres Wissens ist eine Überarbeitung des E. dasyacanthus-Komplexes seit längerer Zeit in Aussicht gestellt. Dann wird bestimmt auch die in der Überschrift gestellte Frage umfassend beantwortet werden. Für uns waren es sehr schöne Erlebnisse, diese vom normalen Habitus bedeutend abweichende Form zu finden; auch deshalb, weil ihr Vorkommen wie eine Insel inmitten des riesigen Verbreitungsgebietes von E. dasyacanthus liegt. Gerhard und Gisela Böhm Fröbelstraße 2 D-90592 Schwarzenbruck E-Mail: Echinocereus@Boehm-Bayern.de